1993 wurde in Hamburg der Grundstein für die Deutschen Kulturtage der Gehörlosen gelegt. Unter dem Motto „Eine Kultur bringt sich zur Sprache“ lud der damalige Präsident Ulrich Hase Gehörlose und Interessierte aus ganz Deutschland ein, um zu zeigen, das die Kultur der Gehörlosen besteht und nicht in Frage zu stellen sei. Eine damalige Demonstration zur Anerkennung der Sprache bildete einen Höhepunkt und sendete erste Signale an die noch verschlossene hörende Gesellschaft.
(Parallel dazu: Kongress zur Zweisprachigkeit Gehörloser vom 15. bis 17.10.1993 im Congress Centrum Hamburg)
Schirmherrschaft: Dr. Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung
© Stefan Danailov, 2017
Ulrich Hase, Präsident des Deutschen Gehörlosen-Bundes:
„Die Gehörlosengemeinschaft ist kein Ghetto! Sie ist eine Insel im Meer/Mehr der Hörenden, die uns immer wieder neue Kraft gibt, sie auch zu verlassen, für unsere wichtigen Kontakte zu Hörenden, zu der wir aber auch immer wieder gerne zurückkehren. (…) Die 1. Deutsche Kulturtage der Gehörlosen sollen dokumentieren: Es gibt eine Kultur der Gehörlosen, die wir nicht in Frage stellen lassen! Gehörlosigkeit bedeutet nicht nur Leiden oder Behindertsein. Keiner muss vor Gehörlosen und ihrer Lebensform Angst haben, sie gar ablehnen!
Gibt es wirkliche eine eigene Kultur der Gehörlosen?
Aber natürlich! Überall da, wo Menschen sich verbunden fühlen und eine Gemeinschaft bilden, entsteht auch Kultur: in Gehörlosenvereinen, in Kommunikationszentren oder -foren, beim Sport, in Gehörlosenschulen und in Gehörlosenzentren …“
Prof. Dr. Siegmund Prillwitz, Leiter des Zentrums für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser der Universität Hamburg:
„In der Vergangenheit wurde die Deutsche Gebärdensprache und die damit eng verknüpfte Gehörlosenkultur für die hörende Gesellschaft kaum sichtbar. Nicht selten haben sich Gehörlose ihrer Gebärdensprache geschämt und sie für minderwertig gehalten. Heute ist das anders. Die moderne Sprachwissenschaft hat die nationalen Gebärdensprachen Gehörloser weltweit erforscht und in ihnen interessante und leistungsfähige Sprachsysteme entdeckt. Gehörlose und ihre Verbände stehen heute offen zu ihrer Sprache und identifizieren sich mit ihr und der in ihr hervorgebrachten Kultur. (…)
Gerade in der heutigen Zeit des Fremdenhasses und der Intoleranz gegen Menschen, die anders sind, ist es wichtig, Signale zu setzen. Das gilt auch für Gehörlose und ihre Gebärdensprachgemeinschaft. Die Kulturtage und der Kongress zur Zweisprachigkeit Gehörloser sind solche Signale!“
Rahmenprogramm:
- Eröffnung. Moderation: Rona Meyendorf und Thomas Zander
- Kunstausstellung mit folgenden Künstlern:
Robert Bisl, Gerda Blanken, Koos de Ligt, Dieter Fricke, Volkmar Jäger, Hans Kalteis, Georg Lechenbauer, Katharina Linne, Matthias Mauersberger, Thomas Mauersberger, Roman Melka, Manfred Mertz, Wilfried Meyer, Marika Müller, Elisabeth Paulus, Franz Paulus, Hannelore Pieringer, Frank Schumann, Mehmet Ilhami Sezen, Michaela Starke, Gottfried Weileder, Rudolf Werner, Harry Wittlinger - Filmtage der Gehörlosen
- Basketball-Länderturnier (Schweden, Italien, Russland, Deutschland)
- Magie und Pantomime mit folgenden Künstlern:
- Horst Bormann, Thomas Brunner, Manfred Dörfer, Thomas Geißler, Diane Graupeter, Jens Langhof, Edgar Schade, Helmut Schönke
- Soloabend mit dem Pantomimen JOMI
- Lange Theaternacht mit dem Deutschen Gehörlosen-Theater, Thow & Show, Visuelles Theater Hamburg. Moderation: Franziska Fehringer und Jürgen Stachlewitz.
- Festgala. Moderation: Gunter Puttrich-Reignard
Kulturpreis des Deutschen Gehörlosen-Bundes an Friedrich Waldow und Pfr. Heinz Weithaas. Sonderpreis an Gerhard Schatzdorfer.
Workshops:
- Workshop 1: Theater. Leitung: Thomas Zander und Peter Schick
- Workshop 2: Fotografie. Leitung: Matthias Mauersberger und Volkmar Jäger
- Workshop 3: Magie. Leitung: Thomas Geißler und Edgar Schade
- Workshop 4: Einführung in die Malerei. Leitung: Gottfried Weileder
- Workshop 5: Bildhauerei. Leitung: Koos de Ligt
Foren:
- Forum 1: Geschichte der Gehörlosen. Leitung: Heiko Zienert
- Forum 2: Neue Formen der Verbandsarbeit. Leitung: Gertrud Mally, Petra Reußenzehn, Martina Odorfer, Volkmar Jäger
- Forum 3: Gehörlose Schwule. Leitung: Horst Havemann
- Forum 4: Gehörlosengemeinschaft. Leitung: Arvid Schwarz
- Forum 5: Die Gehörlosen im NS-Staat zwischen Anpassung, Verfolgung, Widerstand und Vernichtung. Leitung: Horst Biesold und gehörlose Betroffene aus dieser Zeit.
- Forum 6: Gebärdensprache. Leitung: Horst Sieprath
- Forum 7: Frauenbewegung. Leitung: Gerlinde Gerkens
- Forum 8: Gehörlose Lesben. Leitung: Gaby Rausch
- Forum 9: Sport und Jugend. Leitung: Rudi Sailer
- Forum 10: Presse und Literatur Gehörloser. Leitung: Gertrud Mally
- Forum 11: AIDS. Leitung: Horst Havemann
Demonstration „Eine Kultur bringt sich zur Sprache“, Freitag, 15.10.93, 16 Uhr.
- Treffpunkt im Eingangsbereich des CCH,
Abschlusskundgebung ca. 17.15 auf dem Rathausmarkt.
Weiterführende Texte:
Jens Heßmann (1993): Kultur bringt Sprache. Das Zeichen 26, 528-536
Kongreß zur Zweisprachigkeit Gehörloser, Hamburg 15.-17.10.1993 – Statements aus den Arbeitsgruppen. Das Zeichen 26 (1993), 506-520
Tomas Vollhaber